Damit hatten wir nicht gerechnet. Die 52. Barcolana, die größte Regatta der Welt in Triest, sollte 2020 die erste Barcolana auf eigenem Kiel werden. Wir haben ja gar nicht geglaubt, dass die Regatta aufgrund der Pandemie überhaupt stattfinden wird. Aber die Veranstalter haben Unglaubliches geleistet, um eine Durchführung möglich zu machen und so war die Freude umso größer, als wir unsere Startnummer 583 endlich in Händen hielten.
Und dann kam es doch anders. Am Morgen des 11. Oktobers um 07.29 Uhr erreichte uns die Nachricht der Regattaleitung, dass die Regatta erstmals seit 52 Jahren abgesagt werden muss. Und zwar nicht wegen der Pandemie, sondern wegen der Bora. Die schon seit Tagen angekündigte Bora scura, mit Windböen bis zu 45 Knoten, Gewitter und Starkregen war pünktlich am zweiten Sonntag im Oktober, dem traditionellen Termin der Barcolana, in Triest eingetroffen.
Die Bekanntmachung über die Absage endete mit einem Zitat des legendären Triestiner Seglers Sandro Chresis (1948–2020): “Der gute Seemann rettet sein Schiff und seine Crew im Sturm. Der ausgezeichnete Seemann hat sich entschieden, im Hafen zu bleiben und sieht dem guten Seemann dabei zu, wie er um Schiff und Crew kämpft”.
Auch wenn Segeln für uns die beste Art zu leben ist, gehört die richtige Einschätzung von möglichem Risiko immer dazu. Segeln lässt sich nun mal nicht auf der Couch, im Fitnessstudio oder auf dem gepflegten Rasen betreiben. Wir begeben uns dazu in ein fremdes Element, mehr oder weniger weit weg vom sprichwörtlichen sicheren Land. Darum hat die richtige Beurteilung des Risikos, das Risikomanagement, beim Segeln höchste Priorität.
Aber die Bora kam auch an diesem Barcolana-Sonntag nicht aus heiterem Himmel. Schon einige Tage vorher war sie in den Wetterprognosen und im Bora-Diagramm zu sehen und wurde von Tag zu Tag immer konkreter. Und von Tag zu Tag wurde auch unsere Unsicherheit größer. Am Abend vor dem Start hatten wir uns dann entschieden, bei diesen Wetterbedingungen nicht gleichzeitig mit 1.500 anderen Schiffen an den Start zu gehen, ließen den lieben Gott einen guten Mann sein und blieben einfach etwas länger in der Trattoria sitzen. Natürlich war in dem Moment die Enttäuschung groß, aber nachdem auch alle unsere Stegnachbarn, alle sehr erfahrene Segler, gemeint hatten, dass sie morgen nicht an den Start gehen würden, war es wohl die richtige Entscheidung.
Als dann am nächsten Morgen die Nachricht der Absage kam, ein Gewitter nach dem anderen mit Blitz, Donner und Starkregen über uns hinwegzog, der Windmesser 48 Knoten anzeigte, hatten wir die Bestätigung, alles richtig eingeschätzt zu haben. Ja, einen herausfordernden Segeltag mit starkem Wind gut zu meistern gehört genauso zu den schönen Segelerlebnissen wie an einem stürmischen Tag sicher im Hafen zu liegen und froh zu sein, dass man nicht kämpfen muss.
Das Wort Risiko kommt übrigens aus der Seefahrt. Im altitalienischen bedeutete “risco” eine Klippe, also eine Gefahr, die umschifft werden musste. Also immer gut Ausschau halten, ob nicht irgendwo ein Risiko am Weg liegt.
mar